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Künstler

Austellung

Cairoscape oder eine Reise mitten hinein in das heutige Kairo

Seit Jahrhunderten ist Kairo die kulturelle Hauptstadt der arabisch sprechenden Länder gewesen, Entstehungsort der bedeutendsten Literatur, Lieder und Filme. „Wer Kairo nicht gesehen hat, hat die Welt nicht gesehen“, behauptet eine Figur aus Tausend und eine Nacht. „Ihr Staub ist Gold, ihr Nil ist ein Wunder, ihre Häuser sind Paläste, ihre Luft ist weich, ihr Geruch übertrifft den des Aloeholz und erhebt das Herz.“ Diese poetische Beschreibung steht in einem deutlichen Gegensatz zum heutigen Kairo, dreckig, drückend heiß, überfüllt und massiv verschmutzt, wie sie ist. Doch Kairo, mit seiner extremen Dichte und Intensität und seinen Eigenheiten, verzaubert und fasziniert nach wie vor Reisende wie Einheimische.

Cairoscape – Images, Imagination and Imaginary of a Contemporary Mega City nimmt uns mit, anhand der Arbeiten von achtzehn Künstlern, auf eine Reise mitten hinein in das heutige Kairo. Die ausgewählten Künstler leben und arbeiten in Ägypten oder haben dort zeitweilig mit einer Künstlerresidenz gelebt und gearbeitet. Die Werke spiegeln einen bestimmten, gegenwärtigen urbanen wie auch existenziellen Zustand, der an diese Stadt gebunden ist, ihre Suggestionskraft, ihr kollektives Imaginäres, ihr Erscheinungsbild und ihr Unbewusstes sowie die Geschichten und Träume ihrer Bewohner wieder. Phantasie, wilde Assoziationsketten, nicht-lineare Erzählungen und eine abenteuerliche Mischung aus Fakt und Fiktion sind unverkennbar der Ansatz von Künstlern wie Sherif El Azma (Kairo), Shady El Noshokaty (Kairo), Katarina Šević (Budapest), Iman Issa (Kairo/New York) und Hala Elkoussy (Kairo/Amsterdam). In ihren Werken überlagern sich Träume, Visionen, Gedichte und Geschichten in suggestiven, poetischen Ensembles, in denen die Stadt umgestaltet und neu erfunden wird. Elkoussys Film We’re By The Sea Now (dt.: Jetzt sind wir am Meer, 2006) gliedert sich in dreizehn Episoden scheinbar disparater anekdotischer Ereignisse, persönlicher Berichte, Fabeln und Geschichten vom Hörensagen. Laut Künstlerin: „Das, was banale Handlung, offensichtliche Entscheidung und klare Ausrichtung zu sein scheint, hervorgerufen durch die täglichen Zwänge und Notwendigkeiten, wirft weitere zentrale Fragen auf: Wie kann man respektive wie bewegt man sich in einer respektive Topographie einer Megalopolis? Wie zeichnet man ihre zersplitterte, unabgeschlossene Geschichte nach? Und, was das Entscheidenste ist, wie behauptet man eine Position innerhalb der Massen, unter dem übermächtigen Druck von Konsumdenken, sozialen Normen und politischer Apathie?"

Ein bemerkenswerter Einfallsreichtum und eine beständige Anpassungsfähigkeit an sich fortdauernd verändernde Lebensbedingungen prägen das Verhältnis der Kairoer zu ihrer Umwelt. Die Fotoserien der Fotografinnen Rana El Nemr (Kairo) und Maha Maamoun (Kairo) zeigen ungewöhnliche und unerwartete Sichtweisen auf prosaische Details des Stadtbildes. Maamoun sucht nach Natur in der Stadt bzw. einem Naturersatz und findet diesen in den bunten Kleidern und Schleiern der Kairoer Frauen. El Nemr stellt Fotos von bemalten und individuell gestalteten Balkonen aus den informellen Wohngebieten Kairos zu phantasievollen Collagen von Wohnblocks zusammen.

Die in die Innenstadt Kairos eingeschriebenen Ebenen der Geschichte sind Thema der Arbeiten von Susanne Kriemann (Rotterdam/Berlin) und Hermann Huber (Wien), die während ihrer Arbeitsaufenthalte in Kairo deren Architektur und urbanen Raum erforscht haben. Kriemann zeigt anhand einer Auswahl von Archivbildern der Statue des Pharaos Ramses II. und ihrer Umgebung den Wandel der Stadt. In der Nasser-Ära stand die Statue für die Ursprünge der ägyptischen Nation und wurde vor dem Kairoer Hauptbahnhof aufgestellt, bis sie 2006 aus konservatorischen Gründen umgesetzt wurde. Hermann Huber dokumentiert ein mitten in Kairo gelegenes, allmählich verfallendes ehemaliges Kaufhaus aus der Kolonialzeit, in dem heute kleine Sweatshops angesiedelt sind. Hubers Tableau vivant-artiges, psychologisch aufgeladenes Porträt des Gebäudes offenbart eine andere Seite der Globalisierung.

Kairo, wie alle Dritte-Welt-Metropolen, ist in erster Linie eine Stadt von Zuwanderern aus ländlichen Regionen, und bedeutet für diese eine völlig andere Seite der Modernität: Anonymität, große Chancen und neue Horizonte, aber auch Entfremdung und unerschwinglich hohe Lebenshaltungskosten. Mit ihren geschätzten 15 bis 25 Millionen Einwohnern ist die ägyptische Hauptstadt nicht nur die größte Metropole des Nahen Osten und Afrikas, sondern auch eine der größten Städte weltweit wie auch wahrscheinlich, mit einem Durchschnitt von 70.000 Personen pro Quadratmeile, eine der am dichtest bevölkerten. Die informellen Wohngebiete in Kairos Peripherie (ashway'iyat, wörtlich: zufällig), große, rote, planlos gebaute Ziegelstein-Siedlungen, in denen die ärmeren Bevölkerungsschichten oft unter entsetzlichen Bedingungen leben, bieten schätzungsweise fünf Millionen Menschen ein zuhause, verstreut auf über mehr als hundert informelle Gemeinschaften. In ihrer Installation reiht Nermine El Ansari (Kairo) Bilder, inspiriert durch diese informellen Siedlungen, und Bildern von Betonbauten der Gewerbegebiete aneinander. Informelle Gemeinschaften bevölkern auch die Dächer der Häuser in Kairos Innenstadt-Bezirken. Diese unsichtbaren Dachbewohner sind die Protagonisten der schwarz-weiß Fotoserie Under the Same Sky: Rooftops of Cairo (dt.: Unter dem gleichen Himmel: Dächer von Kairo, 2002-2003) von Randa Shaath (Kairo). Doa Aly (Kairo) richtet den Blick auf eine andere, fast unsichtbare Bevölkerungsgruppe der ägyptischen Hauptstadt: chinesische Migrantinnen, die mit einem Touristenvisum in Ägypten einreisen und preiswerte Kleidung (Made in China) an der Tür verkaufen.

Transformation, Bevölkerungsdichte und urbane Lebensbedingungen sind die bestimmenden Themen der Arbeiten von Khaled Hafez (Kairo), Christoph Oertli (Basel/Brüssel) und Hany Rashed (Kairo), die sich unterschiedlicher Medien bedienen. Hafez’ Stadtansichten aus der Luftperspektive halten Kairo in einem surrealen Moment extremer Lichtverhältnisse zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang fest. Der Film Cairo von Christoph Oertli entfernt die Menschenmassen aus der Stadt, so dass der Protagonist völlig allein durch den verlassenen Ort driftet: eine überaus unwahrscheinliche Situation im heutigen Kairo. Rashed dagegen füllt den Ausstellungsraum spielerisch mit einer Ansammlung von kleinen Skulpturen, die das Leben im öffentlichen Raum und die unterschiedlichen Einwohner Kairos wiedergeben.

Straßenverkäufer und Arbeiter, Autohupen, Gebetsrufe, Café-Gespräche, Trillerpfeifen, Musik, Handys, Autoalarm, streunende Hunde und Vogelkolonien: Für den Künstler Gilles Aubry (Berlin) ist die Klanglandschaft Kairo ein unaufhörliches Gespräch. Die immersive Klanginstallation, die er für die Ausstellung geschaffen hat, bietet den Besuchern eine akustische Reise durch die Mega-Stadt. Reisen und die Schwierigkeit der Ägypter zu reisen, Resultat restriktiver westlicher Einreisebestimmungen, sind Gegenstand der Arbeiten von Aubry und von Maia Gusberti (Wien). Die Fotoserie der Künstlerin, Travel.agencies, befasst sich mit der visuellen Repräsentation von Reisen auf Basis der Gestaltung von Reisebüros in Kairos Innenstadt. Dort sind die Reiseziele nicht reich bebildert, sondern in Form von alten Weltkarten präsent, die es der raren Klientel überlassen, sich die Zielorte auszumalen. Reisen und ins Ausland zu gehen, um Arbeit und bessere Lebensbedingungen zu finden, ist ein Wunschtraum für viele der jungen Ägypter. Laut Statistik wollen 80% der Unter-Fünfundzwanzigjährigen (d.h. 65% der gesamten ägyptischen Bevölkerung) in den Westen, aber allein der Erhalt eines Visums ist eine fast unüberwindbare Hürde.

Soziale Belange, und insbesondere die Frage nach der männlichen Identität in der gegenwärtigen ägyptischen Gesellschaft, stehen im Zentrum von Ahmed Khaleds Filmen. Seine jüngste Produktion Fish Eye (dt.: Fischauge) zeigt aus einer subtilen und zugleich widersprüchlichen Perspektive heraus, das städtische Leben Kairos: die Sicht eines arbeitslosen, ägyptischen Dreißigjährigen aus der Mittelklasse, der unter Schlaflosigkeit leidet. Kairo ist von endemischer Arbeitslosigkeit betroffen und so verkörpert der namenlose Protagonist des Films eine ganze Generation junger Menschen ohne Arbeit und ohne Perspektiven. Auf surreale und fast rücksichtslose Art und Weise zeigt Khaled die Situation des gestrandeten ägyptischen Mannes in einer modernen, oberflächlichen Gesellschaft. Die Frage, die den gesamten Film durchzieht: Spielt es bei einem solchen Leben wirklich eine Rolle, ob man schläft oder nicht?

Austellungsort

Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Mariannenplatz 2, 10997 Berlin
0049 (0)30 90298-1455
U1/U8 Kottbusser Tor

Öffnungszeiten
Täglich: 12:00 - 19:00
Donnerstags: 12:00 - 22:00
Führungen auf Anfrage